Bei diesem hellblauen Peugeot-Rennrad muss Florian Gründling noch die Schutzbleche montieren. Jeden Tag sechs Stunden und jeden zweiten Samstag arbeitet der 29-Jährige im Radhof Bergheim. Foto: Philipp Rothe

Nicht immer ein einfacher Weg – aber machbar – wir feiern die Vielfalt unserer Mitarbeitenden.

Als Inklusionsunternehmen beschäftigen wir Menschen mit und ohne Behinderungen, die ganz selbstverständlich im Team zusammenarbeiten. Darüber hinaus schaffen wir aber auch Arbeitsplätzen für besonders benachteiligte Menschen oder auch für Menschen mit schwierigen Startvoraussetzungen für den ersten Arbeitsmarkt.

Florian Grünling ist ein schönes Paradebeispiel für einen Mitarbeitenden, der mit uns seinen Weg in die Arbeitswelt gefunden hat. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er für unseren Radhof Bergheim und ist ein fester Bestandteil der Radhof-Familie. Dass der 29-Jährige einst zu unseren Mitarbeitern mit „gebrochenen Lebensläufen“ gehörte, merkt man ihm heute kaum noch an.

In einem ausführlichen Porträt hat die RNZ die Vita von Florian beleuchtet. Lesen Sie selbst – es lohnt sich!

Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Florian Gründling im Radhof Bergheim – Seine Freizeit verbringt er am liebsten im Stehblock der Adler Mannheim 

Von Laura Kress , 06.04.2024

Obwohl er gerade Urlaub hat, kommt Florian Gründling gerne zum Plaudern an seinem Arbeitsplatz vorbei, dem Radhof Bergheim. Schon seit er 17 Jahre alt ist, repariert Gründling hier Bremsen, flickt Fahrradreifen oder montiert Gepäckträger. Sein nächstes Projekt: ein hellblaues Peugeot Rennrad. Ein weißer Zettel an dem Rad zeigt Gründling, was er reparieren soll. „Da muss ich noch Schutzbleche dran machen“, erklärt er. 

Gründling gehört zu den Mitarbeitern mit „gebrochenen Lebensläufen“. So beschreibt es sein Chef Martin Rachfahl. Der heute 29-Jährige ging auf die Graf von Galen-Schule, er hat eine kognitive Beeinträchtigung. Seine Zeit an der Schule hat Gründling in überwiegend positiver Erinnerung, mochte vor allem den Musikunterricht. „Da haben wir zusammen Ukulele gespielt und getrommelt“, erinnert er sich. Zu manchen Lehrern hat er noch bis heute Kontakt. 

Als er 15 Jahre alt war, gab es familiäre Probleme bei Gründling, die so groß waren, dass er in ein Kinderheim in Eppelheim ziehen musste – ohne seinen kleinen Bruder, den das Jugendamt in einem anderen Kinderheim unterbrachte. Vor allem am Anfang sei das schwer gewesen, erinnert sich Gründling. „Den ersten Monat durfte ich meine Eltern gar nicht sehen“, erzählt er. „Die habe ich schon vermisst.“ Dann hat er sie jeden zweiten Sonntag besucht, sieht sie auch heute noch regelmäßig. Warum er aber überhaupt ins Kinderheim musste, ist ihm bis heute ein Rätsel. 

„Jeder hat hier sein Päckchen zu tragen“, meint Chef Rachfahl. Neben Gründling arbeiten im Radhof noch sieben weitere Mitarbeiter, drei von ihnen haben ebenfalls sprachliche oder kognitive Beeinträchtigungen. Andere arbeiten hier auch, um ihre Sozialstunden abzuleisten. Viele würde die Arbeit mit dieser wild zusammengewürfelten Truppe, die nicht alle Beeinträchtigungen haben, herausfordern. Für Gründling sind seine Kollegen aber gerade das, was er an seinem Job so liebt. Auch das Schrauben an Fahrrädern bereitet ihm Freude. „Ich bin einer, der sich auch gerne Mal die Hände schmutzig macht“, sagt er. 

Dass Gründling überhaupt beim Radhof arbeitet, hat er einem Betreuer aus seinem Kinderheim zu verdanken. „Als der mich fragte, ob ich hier ein Praktikum machen möchte, war ich sofort dabei“, erzählt Gründling – für ihn die vielleicht beste Entscheidung seines Lebens. Ohne einen Schulabschluss nahm Rachfahl den damals 17-Jährigen in sein Team auf. Eine Ausbildung gibt es in der Fahrradwerkstatt nicht; das meiste läuft nach dem Motto: Learning by Doing. „Das ist ja auch kein Hexenwerk“, meint Rachfahl. Meist fängt es mit dem Zerlegen eines ausgedienten Fahrrads an, dann geht es irgendwann ans erste Kundenfahrrad. „Klar, manchmal kann es auch sein, dass eine Schraube nicht ganz fest sitzt“, gibt der Chef zu. „Aber Fehler sind eben menschlich.“ Meistens kann Rachfahl dem außerdem vorbeugen, indem er die Fahrräder vorher Probe fährt. 

Nach der Arbeit fährt Gründling nach Kirchheim, wo er gemeinsam mit zwei Schulfreunden in einer Wohngemeinschaft der Lebenshilfe lebt. „Zweimal in der Woche schaut jemand bei uns nach dem Rechten“, erzählt er. Ein weiterer Betreuer hilft ihm mit seinen Finanzen. Gerade deswegen findet Martin Rachfahl es so wichtig, dass Gründling auf der Arbeit lernt, Verantwortung zu übernehmen. „Er lebt so behütet. Da soll er zumindest hier lernen, auch selbst Entscheidungen zu treffen.“ 

Das klappt mal besser, mal schlechter. „Manchmal arbeitet er einfach in den Tag hinein“, erzählt Rachfahl. Ob Gründling nun fünf oder zehn Fahrräder an einem Tag repariere, sei ihm dann egal. Als Gründling diese Kritik aber einmal zu Ohren kam, versuchte er sofort, sein Verhalten zu ändern. „Da hat er dann doch Ehrgeiz entwickelt“, schmunzelt der Chef. Für Rachfahl ist auf jeden Fall klar: Gründling ist für das Team unentbehrlich. Vor allem bei feinmotorischen Arbeiten an den Rädern, aber auch als Freund und Mitarbeiter. „Es fehlt was, wenn Florian nicht da ist.“ 

Wenn Gründling nicht in der Werkstatt ist, ist er entweder selbst auf dem Fahrrad unterwegs oder in der Mannheimer SAP Arena, um seinen Lieblingsverein, die Mannheimer Adler, zu unterstützen. Er versucht, kein Spiel der Eishockeymannschaft zu versäumen, feuert die Spieler stets vom Stehblock aus an. „Da ist die Stimmung am besten“, erklärt er. Mit seiner Begeisterung hat er auch schon andere angesteckt, zum Beispiel seine Freundin, mit der er seit zwei Monaten zusammen ist. 

Auch seinen ehemaligen Musiklehrer hat Gründling schon zu einem Spiel mitgenommen. „Wir hatten zehn Jahre keinen Kontakt“, erzählt der 29-Jährige. „Dann habe ich ihn einfach mal angeschrieben und zu einem Adlerspiel eingeladen.“ Diese Woche geht er zur Abschiedsfeier seines Lieblingsspielers David Wolf, der die Adler verlässt. „Sein Trikot werde ich aber weiterhin anziehen“, ist sich Gründling sicher. 

In zwei Wochen ist Gründlings Urlaub wieder vorbei. Dann steht er nicht mehr zum Plaudern, sondern wieder zum Arbeiten in der Werkstatt und folgt seinem gewohnten Arbeitsrhythmus. Jeden Tag sechs Stunden und jeden zweiten Samstag. Wenn es nach Gründling geht, kann das genauso bleiben: „Ich möchte für immer hierbleiben – in Heidelberg und im Radhof.“ 

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